Krankhafte Loyalität in der Familie… (16.06.2022 20:48:24)

Krankhafte Loyalität…


Loyalität in der Familie kann ein regelrechter Superkleber sein. Im Positiven ist dagegen auch gar nichts zu sagen, wie sieht es jedoch in toxischen Familien aus?

Loyalität kann schon krankhaft sein, vor allem, wenn man Missbrauch (egal in welcher Form) erlebt hat. Man kennt das ja auch in anderer Weise unter dem „Stockholm Syndrom“. Da bauen die „Opfer“ positiv/emotionale Gefühle zu den Tätern auf. Sie kooperieren dann bis dahin, dass sie sich in den Täter sogar verlieben. 

Letztlich passiert mit „Missbrauchskindern“ oftmals genau das Gleiche. Sie fühlen sich verbunden, tragen manchmal miteinander ein Geheimnis, und werden alles tun, damit sich der/die Eltern wohlfühlen und sie ihnen gut gesinnt sind. Auch der Satz: „bestraf mich, dann ist alles wieder gut!“ wird zum täglichen Überlebensmotto. Wenn man selbst einen Fehler gemacht hat, ist das dann ein halber Weltuntergang, denn den darf man sich nicht erlauben.  Das Verbot, darüber zu sprechen, kann zig Jahre wirken. Die Loyalität kann mitunter, vor allem, wenn eine Co-Abhängigkeit dazu kommt, ein Leben lang halten. Doch ist sie gesund?

In der Praxis erlebte ich einige Male sogar, dass „missbrauchte Kinder“ ihre eigenen Kinder unbeaufsichtigt den Eltern gaben, wenngleich das Risiko bestand, dass der Missbrauch weiter ging. Die Loyalität zu sich selbst und zu den eigenen Kindern bleibt in so einem Fall auf der Strecke. Das Gefühl, die Eltern/Täter nicht verletzen zu dürfen, sie gegen sich aufzubringen oder familiäre Traditionen zu brechen, wiegt oftmals viel mehr, als eine gesunde Abgrenzung. 

Das Kind/Opfer, egal wie alt und erwachsen, fühlt sich verzweifelt und ohnmächtig, wenn es den Bruch doch schafft. Es ist, als ob man sich gewaltsam etwas aus der Brust reißt, obwohl es einem bislang dennoch immer nur Schmerzen bereitet hat. Man ist danach voll unerträglicher Schuldgefühle, da der allgemeine Tenor doch lautet: „Du sollst Vater und Mutter ehren!“ 

Ja, wer sagt denn, dass man Eltern nicht ehrt, wenn man sie nicht mehr trifft? Entwicklung im Außen gibt es nur, wenn beide Seiten reflektiert sind, meist ist das bei Eltern nicht so der Fall (natürlich gibt es das auch bei Kindern). Hier gibt es selten Entwicklung und bevor es weitere Eskalationen gibt, ist es doch besser, sich zu „schützen“, ganz nach dem Motto: „als Kind war man ausgeliefert, jetzt kann man auf Distanz gehen, da man für sich selbst verantwortlich ist“! Menschen, die Gewalt oder Mißbrauch erlebt haben, MÜSSEN eine Grenze setzen, um nicht weiter traumatisiert zu werden. Dieser Bruch, der meist mit einer Grenzsetzung einhergeht, ist ein Weckruft durch das Kind für das ganze Familiensystem. Ob er genutzt wird, ist eine andere Frage, meist wird das "schwarze Schaf" dann ausgegrenzt anstatt sich mit den Defiziten in der Familie zu beschäftigen. 

Gerade heute habe ich mir „zufällig“ einen Film angesehen, der diese Thematik dramatisch aufgriff, indem ein Jungendlicher (traumatisiert durch einen gewalttätigen Vater) später anderen „half“, jedoch selbst mit dem Leben nicht zurechtkam und er sich das Leben nahm. Nicht jeder kann das „Passierte“ einfach ausblenden, es ist wie eine Geschwulst, mal mehr mal weniger spürbar und sie ist ein gefährlicher Trigger.

Generell sind Abbrüche keine Lösung, ganz klar, es ist etwas, dass auf Eis gelegt wurde. Man wird sich diesem Thema wieder stellen müssen, spätestens wenn die Eltern dann krank sind oder sterben. Wie verhält man sich in so einem Fall, wird die große Frage sein? Es bedarf hier einer neuerlichen Entscheidung!

Es ist halt schwierig, den Kontakt wieder aufzunehmen, wenn in der Familie keine Reflexionen vorgenommen werden, wenn keine gesunden Konfliktverhalten in der Kindheit vorgelebt wurden und auch später keinerlei wie immer geartete Strategien oder gesunde Grenzsetzungen möglich sind.  Kontaktabbrüche sind also als Weckruf des Kindes zu werten, sie sind eine Schutzreaktion. Oftmals wird das gar nicht in der Kindheit gemacht, sondern erst später im Erwachsenenalter und da reicht als Auslöser eine Banalität. Eltern haben die Verantwortung für ihre Kinder, nicht umgekehrt!!! Oftmals ist es für die Psyche gesünder, sich abzuwenden und eine liebevolle Präsenz eventuell durch Briefe, SMS usw. zu zeigen, mehr geht da nicht, wenn es "gesund" bleiben soll. Allerdings kann man aus diesen vergangenen zerstörerischen Elementen für sein eigenes Leben und seine eigenen Situationen lernen. 

Da sollte sich jeder schon selbst fragen, ob er sich „sicher“ fühlt, ob es ihm „gut geht“, wenn der Kontakt wieder aufgenommen werden sollte. Das ist meist schon eine klare Antwort. Natürlich hat es schon eine gewisse Tragweite, einen Abbruch vorzunehmen. Doch damit hat zumindest das Warten auf das „gesehen und wahrgenommen werden, als der, der man ist, nämlich das Kind, welches auch eigene Gefühle und eigene Bedürfnisse hat“ ein Ende. Vor allem auch dann, wenn Geborgenheit und liebevolle Unterstützung fehlten. 

Innerlich darf man viel "Auflösungsarbeit" machen, um zum eigenen Frieden zu gelangen. Auch das kann mitunter jahrelange Arbeit an sich sein, denn Kinder, egal wie alt sie sind, LIEBEN von Geburt an ihre Eltern, da führt kein Weg daran vorbei!  

        Herzlichst (c) Barbara Kabeah

 
 

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